Schmerz, lass nach!

Chronisches Rückenleiden

Für viele Menschen sind Rückenschmerzen kein vorübergehendes Übel, sondern ein quälender Dauerzustand, den weder Tabletten noch Physiotherapie lindern. Ihnen kann eine Heilmethode helfen, die mehrere Ansätze kombiniert: die multimodale Therapie.

Bei Christian Sandke (Name von der Redaktion geändert) fingen die Rückenschmerzen mit Mitte 20 an. Er hatte in Kiel gerade seine Ausbildung zum Krankenpfleger abgeschlossen und seine erste Stelle in einer Klinik angetreten. Das ständige Heben der Patienten, die Schichtarbeit – mal frühmorgens, dann wieder nachts –, der ständige Druck, das sei anstrengend gewesen, sagt der 42-Jährige. Nun rächte es sich, dass er nie viel für Sport übriggehabt hatte: Sein Rücken tat immer mal wieder weh. Erst schenkte er ihm wenig Beachtung, dachte, das wird schon wieder, anfangs war es auch so. Doch der Schmerz kam wieder, wurde stärker mit den Jahren. Sandke suchte Ärzte auf, bekam erst Schmerzmittel und Massagen, Physiotherapie. Doch nichts half dauerhaft.

Seine Geschichte ist kein Einzelfall. Rückenschmerzen sind ein Volksleiden, 85 bis 90 Prozent aller Deutschen, schätzen Experten, sind irgendwann einmal in ihrem Leben davon betroffen. Meist handelt es sich dabei um einen akuten Schmerz, der innerhalb weniger Tage oder Wochen wieder weggeht. Doch bei jedem Zwanzigsten entwickelt sich daraus ein chronisches Leiden. Davon ist die Rede, wenn es länger als zwölf Wochen anhält. Bei manchen sind die Schmerzen sogar so stark, dass sie nicht einmal nachts mehr zur Ruhe kommen, weil sie in keiner Position beschwerdefrei liegen können. Und nicht selten entstehen dadurch, wie bei Sandke, Fehlzeiten im Beruf.

Eine ernste Erkrankung, etwa ein Tumor oder Rheuma, steckt nur sehr selten dahinter. Auch Bandscheibenvorfälle oder ein eingeengter Wirbelkanal machen nur vier bis sieben Prozent der Fälle aus. Bei neun von zehn Patienten lautet die Diagnose: unspezifische Rückenschmerzen. Diese wiederum entstehen meist durch Muskelverspannungen.

Kräftige Muskeln im Rücken, Nacken und Rumpfbereich halten unsere Wirbelsäule stabil. Werden diese Muskeln nicht gefordert, verkürzen sie sich, verkümmern und die Wirbelsäule wird instabil.

Ein Muskel arbeitet bei einer Bewegung niemals allein, sondern es ist jedes Mal ein Gegenmuskel mit aktiv. Wenn wir zum Beispiel den Unterarm nach oben bewegen, zieht sich der Bizeps zusammen und sein Gegenspieler (der Trizeps) wird gedehnt, damit wir die Bewegung durchführen können. Wird eine Muskelpartie jedoch häufig einseitig belastet und dadurch eine andere nicht gefordert, wie es z. B. bei der nach vorne gebeugten Sitzhaltung am Schreibtisch der Fall ist, entstehen schmerzhafte Verspannungen.

Die wichtigsten Therapien bei chronischen Rückenschmerzen Medikamente

Zur Linderung von Rückenschmerzen werden Präparate mit dem Wirkstoff Diclofenac,
Ibuprofen oder Naproxen eingesetzt.

Wenn diese Mittel nicht greifen, kommen bei chronischen Rückenleiden zudem Opioide zum Einsatz. Achtung: Schmerzmittel sollten nie über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, sonst kann eine Sucht entstehen.

Physiotherapie

Physiotherapeuten leiten Patienten an, Übungen auszuführen, mit denen sie ihre Muskelkraft, ihre Koordination und ihre Beweglichkeit verbessern können.

Multimodale Therapie

Da anhaltender Schmerz ein komplexes Phänomen ist, an dem Körper und Psyche beteiligt sind, wird hier ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt: Ein Team aus Ärzten, Physio- und Ergotherapeuten, Neurologen und Psychotherapeuten behandelt den Patienten gemeinsam. Wichtige Elemente hierbei sind Bewegung und Verhaltenstherapie.


Schonhaltung ist der falsche Weg

Oft ist einem die falsche Körperhaltung gar nicht bewusst. Daher ist Physiotherapie bzw. Ergotherapie meist die erste Wahl, um die Beschwerden zu behandeln. Schwierig wird es allerdings, wenn Betroffene aus Angst, das Leiden durch eine falsche Bewegung zu verschlimmern, permanent eine Schonhaltung einnehmen und auf jeglichen Sport verzichten. Das macht das Rückenproblem noch schlimmer: Denn Bewegungsmangel schwächt die Muskeln immer mehr und fördert die Verspannungen. Die Angst vor Schmerz kann außerdem dazu führen, dass sich Betroffene ständig gedanklich mit dem Schmerz beschäftigen, was die Schmerzwahrnehmung zusätzlich verstärkt – ein Teufelskreis.

Psychische Belastungen können sogar die Ursache für die Rückenschmerzen sein. Wer oft Probleme im Job oder im Privatleben hat, überlastet ist und viel Druck verspürt, ist ständig angespannt und anfälliger für Rückenschmerzen. Ein guter Arzt überprüft beim Untersuchungsgespräch auf jeden Fall, ob das Kreuzweh psychosomatisch bedingt ist.

Früh quält sich – Wer morgens beim Aufwachen Rückenschmerzen hat, sollte einmal überprüfen, ob die Matratze für ihn optimal ist. Auch diese kann Kreuzweh fördern.

Patienten wissen oft nicht, dass chronische Rückenschmerzen viel mit ihrem Alltag und persönlichem Befinden zu tun haben. Das bedeutet, dass sie selbst aktiv werden müssten, um Linderung zu erfahren, also sich regelmäßig bewegen, mehr Sport treiben, sich öfter erholen, Konflikte angehen sollten. Manchem ist das allerdings zu anstrengend und fordert von Ärzten nicht selten sogar eine Operation ein. Und auch Ärzte vernachlässigen psychische und soziale Aspekte noch zu oft, vielleicht aus Zeitmangel oder aus Bequemlichkeit. Daher bleibt es häufig bei Tabletten, Spritzen und einer Operation. Dabei ist Letztere bei chronischen Kreuzschmerzen nur selten nötig.

Eine neue wirksame Therapie

Es geht jedoch auch anders. Experten verstehen inzwischen, dass chronische Rückenleiden ein komplexes Phänomen sind, das mehrere Ursachen hat und dem man sich daher von mehreren Seiten nähern muss. Daraus ist vor Jahren die multimodale Therapie entstanden, eine Behandlungsform, die von amerikanischen Orthopäden und Psychologen entwickelt wurde und auch in Deutschland immer häufiger eingesetzt wird.

Hierbei gehen mehrere Spezialisten das Problem fächerübergreifend an: Orthopäden, Physiound Ergotherapeuten sowie Psychologen. Sie untersuchen den Patienten umfassend, tauschen sich anschließend gemeinsam über ihre Erkenntnisse aus und erstellen einen individuellen Therapieplan für den Betroffenen. Die Behandlung kann ambulant, teilstationär oder stationär in einer Reha-Einrichtung erfolgen.

Jeder im Team arbeitet daran, den Patienten darin zu unterstützen, wieder in ein normales Leben und in den Job zurückzufinden: Physiotherapeuten leiten Schmerzpatienten an, ihre Muskulatur zu stärken, etwa durch Krafttraining. Ergotherapeuten schulen Betroffene darin, bestimmte Bewegungsabläufe (z. B. am Schreibtisch) rückenfreundlicher durchzuführen. Und Psychologen versuchen, im Gespräch ein Bewusstsein für den Schmerz zu schaffen: Welche Situationen erzeugen Druck oder Überforderung? Wie kann der Betroffene dies ändern?

Derzeit ist es das erfolgversprechendste Konzept bei der Behandlung von chronischem Schmerz. Studien belegen seine Wirksamkeit und auch die 2017 aktualisierte Leitlinie der Fachgesellschaften empfiehlt die multimodale Schmerztherapie mittlerweile bei unspezifischen Kreuzschmerzen, die länger als sechs Wochen anhalten und bei denen die bekannten Therapieansätze allein nicht fruchten. Es lohnt sich, seinen Arzt darauf anzusprechen und die Krankenkasse zu fragen, ob sie das Programm unterstützt.

Vielen Schmerzpatienten hat die multimodale Therapie geholfen. Auch Christian Sandke. Inzwischen arbeitet der Krankenpfleger wieder. Er hat gelernt, besser auf seinen Körper zu hören, und macht nun regelmäßig Sport. Zwar sind die Schmerzen noch nicht ganz weg, so etwas braucht eben seine Zeit. Aber es wird zunehmend besser – und das ist das Wichtigste.

Richtig bewegen – Mit konkreten Übungen stärken Schmerzpatienten nicht nur ihre Muskeln, sondern lernen auch, ihre Angst vor Schmerz zu überwinden.